Ich habe meine Frau nicht geliebt, als wir heirateten
Letzte Woche haben meine Frau und ich unser 16-jähriges Ehejubiläum gefeiert. Viele Leute haben uns “Happy Anniversary” gewünscht und Kommentare auf unseren Facebook-Seiten hinterlassen. Wir beide zusammen haben fast 200 Likes für unsere Status-Updates bekommen.
Es war ein schöner Tag, den wir mit unserer Familie verbracht haben. Als ich später am Abend darüber nachdachte, erinnerte ich mich an unseren Hochzeitstag vor ein paar Jahren. An diesem Tag war es nicht gut… überhaupt nicht!
Wir waren beide sehr beschäftigt. Und wir waren beide gestresst. Ich musste einige wichtige Aufgaben auf der Arbeit erledigen und sie musste Anrufe entgegennehmen. Ich erinnere mich, dass wir den ganzen Tag über genervt voneinander waren und uns sogar ein paar Mal angeschnauzt haben. Gegen Mitternacht fielen wir ins Bett und schliefen beide innerhalb weniger Minuten tief ein.
So viel zu einem glücklichen, romantischen Jahrestag, oder?
Aber das ist das wahre Leben. Das ist die Realität.
Oft versuchen wir, den Zauber unserer gemeinsamen Jahre in unserer Ehe noch aufrechtzuerhalten, und verpassen dabei ein sehr wichtiges Wachstumselement, das geschehen muss.
Dein Hochzeitstag ist ein Tag, der gefeiert werden muss. Deine Ehe in den darauffolgenden Jahren ist eine echte Investition. Apropos Investition: Ich habe meinen besten Freund vor 16 Jahren nicht geheiratet. Wir waren an diesem Tag auch nicht überglücklich ineinander verliebt.
Das kann dich überraschen und du kannst dich fragen, was das mit einer Investition zu tun hat.
Ich glaube nicht an die Liebe auf den ersten Blick. Und mir wird auch nicht ganz warm ums Herz, wenn ich Facebook-Statusmeldungen zu Jahrestagen sehe, die etwas sagen wie: “Vor so und so vielen Jahren habe ich meinen besten Freund geheiratet, die Liebe meines Lebens, den Felsen, auf dem ich stehe, den Wind unter meinen Flügeln (das klingt wie ein Bette Midler-Song)!”
Ich sage es nicht, dass irgendetwas davon falsch ist. Es ist in Ordnung, solche Dinge auf Facebook oder Twitter zu posten. Und wenn du das Gefühl hast, dass du Liebe auf den ersten Blick erlebt hast oder deinen besten Freund vor vielen Jahren geheiratet hast, ist das völlig in Ordnung. Ich bin nicht zynisch, ich bin nur ehrlich vor dir.
Vor sechzehn Jahren habe ich meine beste Freundin nicht geheiratet und als wir uns das erste Mal trafen, war es auch nicht Liebe auf den ersten Blick.
Heute, 16 Jahre später, bin ich mit meinem besten Freund verheiratet. Damals war ich es nicht. Heute empfinde ich tiefe Liebe und Respekt für die Frau, mit der ich all diese Jahre verbracht habe. Damals war es nicht so.
Warum? fragst du. Weil ich sie vor all den Jahren nicht wirklich kannte. An unserem Hochzeitstag kannten wir uns erst seit 16 Monaten. Das ist nicht sehr lang!
Wir haben nicht die Liebe auf den ersten Blick erlebt. Ich glaube nämlich, dass es so etwas nicht gibt. Wir haben Verliebtheit auf den ersten Blick erlebt, aber nicht Liebe. Die gibt es aber. Wir haben uns gegenseitig abgecheckt, als wir uns das erste Mal gefunden haben. Wir warfen uns den klassischen Blick zu, um uns gegenseitig zu begutachten. Tut das nicht jeder heißblütige Mensch, wenn er sich zum ersten Mal findet und die Anziehungskraft spürbar ist?
Ich sage das alles, weil Liebe ein Prozess ist. Die Ehe ist eine Investition, die mit der Zeit wächst.
Sie ist eine Reise. Sie wächst durch gemeinsame Prüfungen und das Festhalten an einem Versprechen, das ihr euch gegenseitig gegeben habt. Freundschaft ist dasselbe. Sie entsteht nicht von heute auf morgen und erreicht auch nicht nach ein paar Monaten oder gar einem Jahr ihre volle Tiefe. Liebe ist kein Ziel, das es zu erreichen gilt; sie ist eine Reise, auf die du gehst und der du dich voll und ganz hingibst, in guten wie in schlechten Zeiten.
Nach 16 Jahren, vielen, vielen Kämpfen, vielen Gipfelerlebnissen, einigen extrem harten und herzzerreißenden Prüfungen und glücklichen Momenten kann ich es sagen: Ich liebe meine Frau mehr als je zuvor. Und ich kann es ehrlich sagen: Sie ist meine allerbeste Freundin geworden.
Es liegt nicht daran, dass wir beide voller Hormone oder Anziehungskraft füreinander sind. Nicht, weil sie immer noch so sexy wie eh und je in einem Sommerkleid aussieht. Nicht, weil sie mir immer noch süße Nichtigkeiten ins Ohr flüstert.
Ich liebe sie mehr als alles andere, weil sie mir durch schwere Zeiten beigestanden hat. Sie ist heute meine beste Freundin, weil wir ein ganzes Leben mit einander verbracht haben. Und weil wir beide verrückt werden können, Dinge quer durch den Raum werfen, Dinge sagen, die wir nicht verstehen, losstürmen und uns Luft machen, aber trotzdem in unser Haus zurückkehren, einander verzeihen und verheiratet bleiben. Wir haben füreinander Opfer gebracht, wir haben füreinander geweint und gebetet, und wir haben durch dick und dünn aneinander geglaubt.
Keine der beiden Beziehungen kann ihre volle Tiefe erreichen, wenn es an Engagement und Hingabe mangelt. Und beides geschieht nicht in ein paar Monaten oder gar Jahren. Es ist ein Prozess. Es ist eine Reise.